2018, November - Monatsimpuls

"Du sollst nicht begehren, was deinem Nächsten gehört."

Liebe Leserinnen und Leser,

vor vielen Jahren hat Manfred Rommel unnachahmlich humorvoll einmal das Wesen der „gefühlten“ Ungerechtigkeit beschrieben:

„Die Welt ist nicht gerecht,
weil dir geht‘s gut und mir geht‘s schlecht.
Die Welt wär‘ viel gerechter,
wenn mir ging‘s gut und dir ging‘s schlechter.“

Dieses Gefühl entsteht immer dann, wenn wir uns vergleichen und meinen zu erkennen, dass wir ungerecht behandelt werden. Dann entstehen leicht Neid und Missgunst und eben auch Begehrlichkeiten.

Dafür hat sicher jede und jeder im eigenen privaten Umfeld seine Beispiele.

In der Arbeitswelt gibt es das aber erst recht. Da neidet einer dem anderen die Karriere, die bessere
Stelle, das interessantere Projekt, das schönere Büro.

Es hat etwas mit der Persönlichkeit, aber auch mit der Unternehmenskultur zu tun, ob Statussymbole und Privilegien eine Rolle spielen. Solche vermeintliche Ungerechtigkeit kann das Zusammenarbeiten erheblich stören. Und wenn es dann zum Versuch kommt, das vermeintlich Ungerechte zu korrigieren, wenn die Begehrlichkeit entsteht, dann kommt die Zeit der Intrigen und des Taktierens. Dann werden Probleme aufgebauscht, Kollegen angeschwärzt und Vorhaben vereitelt.

Ich fürchte, dass das Vergleichen und das Begehren so tief in uns verwurzelt sind, dass wir uns dem nur sehr schwer entziehen können. Und wer das ganze Leben seines Nächsten nicht überblickt, der sieht ja immer nur das momentane Ergehen. Aber: Ging es dem Anderen immer und zu allen Zeiten besser? Welchen Preis hat er dafür bezahlt? Was hat er erlitten, was mir erspart blieb?

Wir können daran arbeiten, Vergleiche zu lassen und Begehrlichkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Für das Arbeitsleben gilt: dass wir so gut es geht transparent und nachvollziehbar machen, warum der eine etwas anderes bekommt wie der andere. So gut wir können, sollen wir Willkür vermeiden und Bedingungen und Voraussetzungen definieren, unter denen zum Beispiel Stellenbesetzungen oder Beförderungen stattfinden.

In unseren Führungsgrundsätzen heißt es darum: Die Führungskraft soll Vorbild sein. Das ist ein schlichter Anspruch, aber wenn er gelebt wird, ist viel gewonnen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, Oktober - Monatsimpuls

Wir sind der Wahrheit verpflichtet

Liebe Leserinnen und Leser,

„Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“

Mit dem Amtsantritt des amerikanischen Präsidenten Trump haben wir vor einem Jahr gelernt, dass selbst Präsidenten lügen. Sie nennen es zwar anders, zum Beispiel „alternative Fakten“, aber die Verpflichtung zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit scheint nebensächlich geworden zu sein.

Gerade darum aber ist dieses Gebot besonders bedeutsam, denn wo die Wahrheit verloren geht, da ist Lug und Trug, Ungerechtigkeit und Unfreiheit nicht fern.

Im Zusammenhang mit unserer Arbeit kann das „falsche Zeugnis“ ganz erheblich Folgen für das berufliche Leben und die Existenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben.

Wir arbeiten sehr nah an den Menschen, müssen sie bei der Pflege anfassen, sind in den intimsten Situationen unterstützend und assistierend dabei. Das ist ein hochsensibler Bereich. Da können leicht missverständlich Situationen auftreten. Unsere Konzepte zum Umgang mit Aggressionen, zur Sexualität oder zu ethischen Fallbesprechungen sollen dazu helfen, dass keine Situationen entstehen, aus denen heraus Gerüchte oder „falsches Zeugnis“ provoziert wird.

Gleichzeitig aber ist es auch falsch verstandene Rücksicht, wenn tatsächliche Übergriffe, Alkohol- oder Drogenprobleme vertuscht werden. Was wir darum brauchen und woran wir arbeiten, ist eine Atmosphäre der Transparenz und Offenheit, in der Probleme ehrlich benannt werden.

In unserer Diakonie Stetten sollte darum gelten: niemand braucht von der Wahrheit abzuweichen, wir können es uns leisten, Vertrauen zu schenken und schaffen.

 Auch in der täglichen Zusammenarbeit ist ehrliche Kommunikation ein großes Thema.

Eines unserer Ziele haben wir darum so beschrieben: „wir wollen nicht übereinander, sondern miteinander reden.“

Wo Menschen zusammenarbeiten, da gibt es immer Grund für das „Übereinander-Reden“. Das mag dann zwar spannend und aufregend sein, besser aber ist das miteinander reden, weil sich da viele Vermutungen und Phantasien, Unterstellungen und Befürchtungen ganz leicht aufklären lassen.

Jesus gab seinen Jüngern mit auf den Weg: „Eure Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein.“

Also: was wir sagen, soll der Wahrheit entsprechen, kein Drumherumgerede, keine Ausschmückungen, keine Vermutungen und keine Unterstellungen.

In diesem Zusammenhang ist mir besonders die Erklärung Martin Luthers wichtig: „… dass wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder ins Gerede bringen, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren.“

Wenn wir uns daran nicht nur in unserem privaten und persönlichen Umfeld, sondern auch im Arbeitsalltag halten, gibt es viel mehr gute Zusammenarbeit als schlechte Gerüchte.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, September - Monatsimpuls

Eigentum ist zu achten – es verpflichtet aber auch

Liebe Leserinnen und Leser,

„Pflege-Betrug im großen Stil“ unter dieser Überschrift berichteten viele Medien im Sommer des letzten Jahres über einen groß angelegten Abrechnungsbetrug.

Wie geht das?

Zum Beispiel so: Ein Pflegedienst rechnet bei den Kranken-, Pflege- und Sozialkassen ab, dass ein Mitarbeiter zwei oder drei Mal täglich einen Patienten zu Hause besuchte. Um ihn zum Beispiel zu waschen, ihm beim Kochen und Essen zu helfen, eventuell auch Medikamente zu reichen oder den Blutdruck zu messen. In Wirklichkeit aber kam der Mitarbeiter nur einmal pro Woche, manchmal nur einmal im Monat.

Oder so: Schwerkranke Patienten benötigen bisweilen eine ganztägige Pflege. Diese ist teuer. Die Pflegedienste rechnen immense Beträge bei den Kassen ab und bezahlen davon die Pflegekräfte. Wenn allerdings die Ganztags-Betreuerin illegal beschäftigt ist und aus Litauen oder der Ukraine stammt, erhält diese nur ein vergleichsweise mickriges Gehalt, der Rest bleibt in der Firma.

Mit Tausenden solcher „Deals“ soll eine Gruppe von neun angeklagten Männern und Frauen über viele Jahre in Düsseldorf und Umgebung eine Menge Geld ergaunert haben.

Funktioniert hat das System auch deswegen, weil die Patienten teilweise mitgemacht und mitkassiert haben.

Durch solches Handeln wird nicht nur die Pflegekasse bestohlen, sondern es entsteht ein tiefes Misstrauen zwischen Pflegenden und Kostenträgern. Und darunter leiden dann alle: Die Kontrollen und Prüfungen werden immer umfangreicher, der Aufwand, die eigenen Leistungen nachzuweisen, wird immer größer und die Zeit für die eigentliche Pflege wird immer knapper.

Diebstahl schadet so allen.

In unserem Leitbild der Diakonie Stetten haben wir dagegen festgeschrieben, dass wir verantwortlich mit den Geldern umgehen, die uns zur Verfügung gestellt werden.

Das heißt nicht nur, dass wir ehrlich wirtschaften und die Leistungen, die wir bezahlt bekommen auch tatsächlich erbringen, sondern auch, dass wir unsere Abläufe immer wieder darauf überprüfen, ob sie sachgemäß und günstig sind. Verschwendung von Zeit und Kraft durch eine falsche Organisation wollen wir möglichst vermeiden.

Wir wollen die uns zur Verfügung gestellten Mittel nicht nur für die versprochenen Leistungen einsetzen, sondern das Bestmögliche mit ihnen erreichen für die Menschen, die sich uns anvertrauen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, August - Monatsimpuls

Ehe und Partnerschaft – Sicherheit und Unterstützung

Liebe Leserinnen und Leser,

Du sollst nicht ehebrechen. Die Liebe zwischen zwei Menschen ist ein Geschenk und sie beginnt meist mit einem hohen Glücksgefühl.

Zum Erhalt solcher Liebe haben sich Formen ausgebildet, die sie geschützt haben und die Sicherheit gaben. Eine Sicherheit, die vor allem auch Kinder brauchen und die auch dann wichtig ist, wenn aus dem Hochgefühl der frischen Liebe Alltag geworden ist oder sich Lebens- und Partnerschaftskrisen eingestellt haben.

Die Ehe als Rechts- und Lebensform für Partnerschaft und Familie bietet Verbindlichkeit, bietet die Gewähr von Sicherheit und Unterstützung auch unter schwierigen Bedingungen und in Krisenzeiten. Erst recht ist sie eine verlässliche Grundlage für die Begleitung und Unterstützung von Eltern und Kindern.

Das sechste Gebot schützt davor, dass Menschen sich in immer neue Beziehungen stürzen, dass sie damit ihre Partner und Kinder verunsichern und möglicherweise auch in materielle Schwierigkeiten bringen.

Immerhin fast jedes fünfte Kind wächst in Deutschland bei einem alleinerziehenden Elternteil auf und aus den Armutsberichten wissen wir, dass gerade diese Kinder einem besonders hohen Armutsrisiko ausgesetzt sind.

40 Prozent aller geschlossenen Ehen wurden im Jahr 2015 geschieden, also fast jede zweite Ehe. Fragt man aber junge Menschen, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen, dann wünschen sie sich sehr oft einen treuen und verlässlichen Partner.

Wie also umgehen mit diesem Gebot?

Es ist ja nicht nur geboten, sondern die meisten Menschen wünschen sich auch seine Umsetzung.

Und trotzdem gelingt es vielen nicht.

Oft sind es die übermäßigen Ansprüche an Belastungen aus der Arbeit, den finanziellen Verpflichtungen und den Aufgaben der Erziehung und Pflege, die einen Ausbruch oder eine Flucht aus der Situation als Lösung erscheinen lassen.

Als Einrichtung können wir jedenfalls versuchen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Teilzeitarbeit, „Homeoffice“, Rückkehrmöglichkeiten für Eltern nach der Elternzeit und Rücksicht auf Erziehungs- und Pflegeaufgaben sind unser Beitrag.

Damit retten wir vielleicht keine Ehe, wir tragen aber auch nicht zu ihrem Scheitern bei.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, Juli - Monatsimpuls

Menschliches Leben ist unantastbar

Liebe Leserinnen und Leser,

Du sollst nicht töten!

Muss man es Ihnen und mir wirklich ausdrücklich sagen, dass wir niemanden umbringen sollen?
Ganz ehrlich: Ich hatte das noch nie vor und ich vermute, Sie auch nicht.

Aber so einfach ist es auch wieder nicht, wenn wir zum Beispiel die Problemfelder betrachten, die sich durch die moderne Medizin und Technik, sowie das Selbstbestimmungsrecht von Patienten ergeben:

  • Wie geht die werdende Mutter mit der Diagnose um, dass ihr Kind womöglich krank oder mit starken Beeinträchtigungen zur Welt kommen wird?
  • Wie entscheiden die Angehörigen im Blick auf lebensverlängernde Maßnahmen?
  • Wie gehen Betreuerinnen und Betreuer mit dem ausdrücklichen Wunsch eines unheilbar kranken, Schmerzen leidenden Menschen um, der sterben möchte?
  • Wie verhalten wir uns als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn ein Mensch mit Behinderungen vehement und ausdrücklich eine medizinische Behandlung ablehnt?

Bedeutet es zu töten, wenn wir Leben erst gar nicht zur Welt kommen lassen oder Menschen sterben lassen, die ohne Eingriffe und Behandlungen nicht mehr leben können?

Mit diesen Fragen gehen wir nahezu täglich in der Diakonie Stetten um. Da gibt es oft keine so ganz eindeutigen Antworten.

Darum haben wir in den vergangenen Jahren sogenannte „ethische Fallbesprechungen“ eingeführt, bei denen alle Gesichtspunkte „auf den Tisch“ kommen und miteinander abgewogen werden.

Nach Martin Luther sollen wir, so ist das Gebot gemeint, nicht nur unserem Nächsten keinen Schaden und kein Leid tun, „sondern ihm helfen und ihm beistehen in allen Nöten und Gefahren.“

In diesem Sinne helfen und unterstützen wir Menschen bei ihren Entscheidungen:

Zum Beispiel legen wir im Alexander-Stift und in der Diakonie Stetten großen Wert auf eine gute Palliativversorgung. Das heißt, wir bemühen uns um eine sehr gute Schmerztherapie und eine Begleitung von Sterbenden, damit sie ohne Schmerzen und mit wenig Angst ihren letzten Lebensweg gehen können. Das ist ein Beitrag dazu, das 5. Gebot zu erfüllen - niemand soll sein Lebensende herbeiwünschen müssen, weil er Schmerzen, Angst oder Einsamkeit erleidet.

Zum Beispiel kämpfen wir für eine gute Finanzierung der Hilfen für Menschen mit Behinderungen. Keine Mutter soll sich gegen ihr Kind entscheiden müssen, nur weil sie keine Perspektiven für ihr möglicherweise krankes oder beeinträchtigtes Kind sieht. Sie soll wissen: jeder Mensch ist willkommen auf dieser Welt und es gibt eine gute und liebevolle Unterstützung, wenn sie sich für das Kind entscheidet.

Jeder Mensch ist, das glaube ich, willkommen und kostbar. Niemand hat das Recht, anderes Leben einzufordern, es zu zerstören oder auf’s Spiel zu setzen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, Juni - Monatsimpuls

Verantwortung der Generationen

Liebe Leserinnen und Leser,

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!

Irgendwo habe ich den Satz gelesen: „Alt werden ist nur etwas für Mutige“.

Und tatsächlich ist in unserer Welt des Fit-Seins und der Hochachtung vor der Jugend das Altwerden oft verbunden mit einem Gefühl des Verlassen-Seins.

Vielleicht liegt das auch daran, dass es viele Menschen gibt, die gar keine Kinder haben. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass das Alter zwar oft schöngeredet wird, aber dennoch auch mit einem Nachlassen der Kräfte und der Möglichkeiten verbunden ist. Eine Wahrheit, die jeder einzelne Mensch an sich selber spürt, die aber mit Sprüchen wie „man ist so alt, wie man sich fühlt“ ganz oft weggeredet wird.

Statistisch gesehen übernehmen die Jungen jedoch ganz überwiegend die Pflege ihrer Eltern, solange es geht. Mit Unterstützung ambulanter Pflegedienste und anderer ausgebauter Hilfesysteme.

Oft kommt aber irgendwann der Zeitpunkt, wo es nicht mehr in der Familie geht. Das hat nichts mit fehlender Zuneigung und fehlendem Respekt zu tun.

In der Diakonie wissen wir: die gute Pflege von Menschen, die alt geworden sind, das ist nicht nur eine individuelle Aufgabe, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Die flächendeckende Versorgung mit Pflegeeinrichtungen, die einen hohen Standard der Pflegequalität regelmäßig nachweisen müssen, ist ein Baustein der Verantwortung, die die Generationen füreinander übernehmen.

Ja, es gibt einen Spagat zwischen guter Pflege und erschwinglichen Kosten, denn jede Verbesserung der Personalsituation verteuert die Angebote. Das gilt ebenso für die baulichen Standards, wie zum Beispiel Einzelzimmer und individuelle Sanitärbereiche.

Aber, die meisten Familien übernehmen diese Kosten dann doch, genauso wie die öffentlichen Kassen, weil es uns allen wichtig ist.

Ganz im Sinne des vierten Gebots gilt: Niemand soll sich abgeschoben fühlen, niemand soll vernachlässigt werden, niemand soll unter würdelosen Umständen alt werden und sterben, sondern ergänzend zu den Unterstützungsmöglichkeiten der Familien gibt es ein aufgefächertes System von Hilfsangeboten.

Im Alexander-Stift der Diakonie Stetten begleiten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Menschen mit dieser Einstellung. Immer wieder bin ich stark beeindruckt davon, wie sie respektvoll mit den Menschen umgehen, deren Wünsche und Besonderheiten beachten und dies mit einer hohen Fachlichkeit verbinden.

Übrigens: ob wir selber in Würde alt werden und die vorbehaltlose Unterstützung unserer Kinder bekommen, liegt auch daran, wie wir mit ihnen umgehen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, Mai - Monatsimpuls

Wir haben Zeit - Teil 2

Liebe Leserinnen und Leser,

kürzlich berichtete mir eine langjährige Mitarbeiterin, dass es früher den Grundsatz gab: „Frei ist heilig“. Gemeint ist damit: ein Mitarbeiter, der seinen freien Tag hat, sollte eben nicht für Vertretungsdienste oder wenn es gerade mal „klemmt“ aus seinem „frei“ gerufen werden.

Heute versuchen wir das durch ausgefeilte Dienstpläne und ein gut durchdachtes „Ausfallmanagement“ zu gewährleisten. Da wir erfahrungsgemäß in einem bestimmten Umfang immer mit kurzfristigen Krankmeldungen oder Verhinderungen rechnen müssen, haben wir ein System entwickelt, wie wir diese Ausfälle „managen“.  

Das Gebot ist in meinen Augen keine unzeitgemäße und unzumutbare Beschränkung des unbegrenzten Zugangs zu Waren und Dienstleistungen, sondern ein menschenfreundliches Geschenk.

Martin Luther hat im Großen Katechismus beschrieben, was es bedeutet, an Gott zu glauben: „Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten, also dass einen Gott haben nicht anders ist denn ihm von Herzen trauen und glauben. … allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide: Gott und Abgott.“

Der Glaube und das Hören auf diesen befreienden Gott der Bibel ist darum für mich, ist für uns in der Diakonie Stetten Herzensangelegenheit und Motiv für unser Handeln.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, April - Monatsimpuls

Wir haben Zeit - Teil 1

Liebe Leserinnen und Leser,

Du sollst den Feiertag heiligen.

Wollen Sie nicht auch an Sonn- und Feiertagen ab und zu ins Restaurant gehen oder vielleicht sogar einkaufen, zum Beispiel bei einem Stadtfest oder Tag der offenen Tür? Wollen Sie nicht auch manchmal am Sonntag Bus oder Bahn fahren?

Viele Menschen wünschen sich verkaufsoffene Sonntage und durchgängige Öffnungszeiten.

Dadurch gibt es dann viele Berufe, in denen Menschen gar keinen freien Sonn- oder Feiertag beanspruchen können.

Das gilt erst recht im sozialen Bereich. Diakonie als Dienst am Menschen zum Beispiel muss rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag verfügbar sein.

Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gruppendienst, in der Pflege oder auch in den technischen Bereitschaftsdiensten bringe ich großen Respekt entgegen. Sie müssen ihr ganzes Leben auf diese Dienstzeiten einrichten, können darum oft nur mit Mühe Freundschaften pflegen oder am Alltagsleben teilhaben. Eine Feiertagsheiligung als Ruhe und Verzicht auf Arbeit an Sonn- und Feiertagen geht bei ihnen um der Menschen willen nicht.

Ist die „Heiligung“ des Feiertags also unzeitgemäß? Passt dieses Gebot noch in unsere von Dienstleistung geprägte Welt? Und was heißt dann Feiertagsheiligung?

Es geht um ein Geschenk für den Menschen. Jesus sagte einmal: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ (Mk 2,27)

Dieses Geschenk verschafft uns einen gemeinsamen Lebensrhythmus, gemeinsame Festzeiten, die Möglichkeit, Gemeinschaft in Familien, Freundeskreisen und in der Kirche zu erleben?

Dieses Geschenk bewirkt, dass wir nicht pausenlos und unbeschränkt verfügbar sein müssen. Vor allem nicht für unsere Aufgaben und Pflichten und auch nicht für unsere Arbeit.

Freie und unverfügbare Zeit zu haben, ist ein Geschenk und soll keine Belastung sein.

Übersetzt heißt das für mich, dass es auch und gerade für diakonische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen persönlichen und privaten Bereich geben muss, der nicht angetastet werden darf.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, März - Monatsimpuls

In Gottes Namen darf niemandem Leid zugefügt werden

Liebe Leserinnen und Leser,

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen.

Es ist gut, dass die Christenheit sich von gewalttätigen und grausamen Teilen ihrer Geschichte entschieden distanziert hat. Wie viel Leid haben die Kreuzzüge, die „Hexenverfolgungen“, die unnachgiebigen und grausigen Methoden der Inquisition über die Menschen gebracht. Alles im Namen Gottes.

Heute sind Menschen im Namen eines fundamentalistischen Islamismus unterwegs, die Hass predigen und Mord und Terror in die Welt tragen, im Namen ihres Gottes, den sie als kleinlich, gewalttätig und hasserfüllt verstehen.

Ich aber glaube an den Gott, der Menschen befreit aus lebensfeindlichen Abhängigkeiten und ungerechten Verhältnissen. Ich glaube an Gott, der die Menschen liebt und will, dass sie einander lieben. Darum darf ich niemals eigennützige Ziele als gottgewollt ausgeben und auch nicht im Namen Gottes anderen Menschen die Freiheit des Denkens und Glaubens absprechen.

Nun ist es einfach, auf die mittelalterliche Kirche oder terroristische Islamisten zu zeigen.

Aber wir haben allen Grund, auch auf uns selbst zu schauen.

Die Diakonie hat, das müssen wir heute voller Scham erkennen, in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Heimen und Häusern, oft im Namen Gottes, Kinder und Jugendliche auf eine Weise „christlich“ erzogen, die einengend und oft auch entwürdigend war und die heute zum Teil als Misshandlungen bewertet würden.

Die Diakonie Stetten stellt sich auch diesem Abschnitt ihrer Geschichte. Die damaligen Erzieherinnen und Erzieher und Pfleger fühlten sich „mit Gott an ihrer Seite“, akzeptiert und ermutigt durch die allgemeinen Erziehungsgrundsätze der damaligen Zeit, ermächtigt, mit heute geächteten und verbotenen Methoden zu erziehen und zu strafen.

In wenigen Wochen erscheint dazu ein Buch der Historikerin Silberzahn-Jandt, in dem sie Dokumente aus dem Archiv der Diakonie Stetten aufgearbeitet hat. Das ist teilweise sehr schwer zu lesen. Aber es zeigt auch, dass wir immer in Gefahr stehen, falsch zu handeln und Fehler erst spät zu erkennen.

Aus dieser Geschichte lerne ich: Wir stehen als Christen und als christliche Einrichtung immer auch in der Gefahr, den Namen Gottes zu missbrauchen. An uns soll die Menschenfreundlichkeit des befreienden und liebenden Gottes erkennbar sein – aber wir erkennen uns selber immer wieder auch als unzulänglich und fehlerbehaftet.

Darum ist es besser, sehr vorsichtig zu sein bei der Begründung und Erklärung von Verhalten und Vorgaben durch eine Berufung auf Gottes Willen.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen 

2018, Februar – Monatsimpuls

Gott schenkt Freiheit

Liebe Leserinnen und Leser,

tun Sie das Gute, weil sie es wollen oder weil Sie es müssen?

Wer die 10 Gebote oberflächlich liest, könnte meinen, da würden den Menschen von außen Lasten aufgelegt, als Befehlsempfänger müssten sie sich dem eigentlich fremden Willen Gottes beugen.

Aber schon im ersten Satz ist von etwas ganz anderem die Rede, nämlich von Freiheit.

Das erste Gebot lautet im 2. Buch Mose folgendermaßen:

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt hat. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen!

Eigentlich ist es unsere normale Erfahrung, dass wir in Zwängen und Abhängigkeiten leben. Selbst in einem so freien Land wie Deutschland kann man ganz schnell in etwas hineingeraten.

So sagten es zum Beispiel in den letzten Jahren die Ingenieure von VW und Audi: Sie haben technisch unerfüllbare Vorgaben nur durch unerlaubte Software – scheinbar – erfüllen können. Also: es gab Anweisungen und Vorgaben. Ist da möglicherweise der Erfolg zu einem Gott geworden? Freiheit sieht anders aus!

Wenn wir über unseren eigenen Horizont hinausschauen, dann sehen wir erst recht Unfreiheit, ja zum Teil Gewaltherrschaft und Angstsysteme, wo zum Beispiel im Namen eines Gottes alle und alles angegriffen, terrorisiert und zerstört werden, was nicht in das enge und hassgeprägte Gottes- und Menschenbild islamistischer Radikaler passt.

Wir wissen, dass Frauen und Mädchen aus armen Familien weltweit gefährdet sind, Opfer von Menschenhandel zu werden, wir wissen, dass es Kinderarbeit gibt in vielen Ländern dieser Welt und Menschen, die für Hungerlöhne schwerste Arbeit leisten müssen, moderne Sklaverei. Dort heißen die Götter Reichtum, Gier und Macht.

So verstehe ich, dass wir keine Götter neben diesem Gott der Freiheit haben sollen, nicht den Gott des Erfolgs, des Reichtums oder den Gott der Macht. Es gibt keinen anderen höchsten Zweck oder letzten Grund, der es erlaubt, dass Menschen einander ausnutzen oder in totaler Abhängigkeit halten.

Wer an den befreienden Gott der Bibel glaubt, der setzt sich ein für die Freiheit aller Menschen. Es gibt kein Ziel, für das Menschen zu Werkzeugen gemacht oder nur ge- oder verbraucht werden dürfen.

Wer an den befreienden Gott der Bibel glaubt, der wird ein tiefes Misstrauen haben gegen Hassprediger, die das Bild eines gewalttätigen und unbarmherzigen Gottes verbreiten und unter diesem Bild Mord und Gewalt rechtfertigen und die Freiheit der Menschen einschränken.

Martin Luther hat im Großen Katechismus beschrieben, was es bedeutet, an Gott zu glauben: „Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten, also dass einen Gott haben nicht anders ist denn ihm von Herzen trauen und glauben. … allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide: Gott und Abgott.“

Der Glaube und das Hören auf diesen befreienden Gott der Bibel ist darum für mich, ist für uns in der Diakonie Stetten Herzensangelegenheit und Motiv für unser Handeln.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2018, Januar - Monatsimpuls

Christliche Regeln für ein gutes Zusammenleben

Liebe Leserin, lieber Leser,

bedeutende Richtschnur unseres Handelns sind die Regeln und Maßstäbe, die wir aus der Bibel haben. Zum Beispiel die 10 Gebote, die wir im Lichte der Botschaft Jesu verstehen. Höchster Maßstab ist allerdings für uns das „Doppelgebot der Liebe“ und auch die sogenannte „Goldene Regel“, die Jesus uns gegeben hat.

Ich erfahre jedoch in vielen Gesprächen, dass diese Leitlinien in vielen Fragen nicht einfach 1:1 angewendet werden können, sondern in unsere Lebenswirklichkeit übersetzt werden müssen.

Denn manchmal scheint es, dass diese Regeln nur für den Einzelnen bestimmt sind und gar nicht auf Organisationen oder die politischen Themen anwendbar sind. 

Und der technische Fortschritt – denken Sie nur an Internet und Gentechnik – lässt Themen und Fragestellungen entstehen, die nicht unmittelbar mit der Berufung auf die 10 Gebote oder das Doppelgebot der Liebe zu lösen sind.

Dazu kommt, dass wir durch die Globalisierung in einer Welt leben, die von einer großen Vielzahl von Anschauungen, Denk-, Glaubens- und Lebensformen geprägt ist, die gegenseitigen Respekt verlangen.

Was für Christen ein Gebot Gottes ist, an dem wir uns ausrichten, ist für viele andere Menschen erst einmal nur eine moralische Forderung, die auf ihre Nützlichkeit geprüft und auf ihre Vereinbarkeit mit dem aktuellen psychologischen, pädagogischen und philosophischen Wissen hinterfragt wird. Wir tun gut daran, uns diese Fragen zu stellen und den aktuellen Wissensstand einzubeziehen, wenn wir uns nicht aus dem öffentlichen Gespräch in eine sektenhafte Sonderwirklichkeit begeben wollen.

Gleichwohl sind die 10 Gebote, die goldene Regel und das Doppelgebot der Liebe nicht einfach nur eine Sammlung von Ratschlägen, wie wir sie in entsprechenden Zeitschriften, Büchern oder Ratgeber Sendungen auch finden.

Die genannten Maßstäbe haben sich vielmehr seit Jahrtausenden bewährt, um ein gutes und friedliches Zusammenleben der Menschen zu gewährleisten. Sie sind keine Gesetze sondern an ihnen müssen sich Gesetze messen, wenn sie Fairness,  Gerechtigkeit und Sicherheit im Zusammenleben der Menschen regeln wollen.

Gebote und Leitlinien müssen „übersetzt“ werden, müssen ihrem Sinn nach angewandt werden. Damit dies gelingt, müssen sie ins Gespräch gebracht und diskutiert werden. Die folgenden Impulse sind dafür ein Versuch, erheben keinen Anspruch auf Verbindlichkeit, sondern laden ein zum Gespräch.

Es grüßt Sie herzlich
Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen