2017, Dezember - Monatsimpuls

Alle Jahre wieder

Liebe Leserinnen und Leser,

kennen Sie das Lied: ‚Lasst uns froh und munter sein, und uns recht von Herzen freun. Lustig, lustig trallala, bald ist Niklausabend da‘?

Die Geschichte des froh machenden Nikolaus geht auf einen Bischof zurück, der vor 1700 Jahren in der kleinen Stadt Myra in der heutigen Türkei gelebt hat.

Viele Geschichten werden von ihm erzählt. Er war ein Kirchenmann, der sah, wo Not war und der dann auch etwas von sich herschenkte. Lange Jahre war der Nikolaustag darum der Tag der Geschenke.

Martin Luther aber wollte, dass die Menschen sich mehr über die Geburt von Jesus als über den Nikolaus freuen. Darum sprach er vom Christkind. Und seine Idee war es auch, dass die Menschen einander an Weihnachten Geschenke machen sollten, damit sie an das große Geschenk Gottes an uns erinnert würden.

Damit hat er den Heiligen Abend „erfunden“, an dem wir uns alle gegenseitig durch Geschenke Freude machen.

Die Erinnerung an den Nikolaus aber hat dies nicht gestört. Und so ist es dann gekommen, dass wir nun zweimal etwas schenken: Nikolaus und Weihnachten.

Auch schön.

Wenn wir so auch jedes Jahr immer wieder die Adventszeit ähnlich begehen und Nikolaus und Weihnachten feiern, dann wird uns diese Wiederholung doch nicht langweilig, sondern verbindet uns miteinander und mit den Menschen, die unser offenes Herz und unsere helfenden Hände brauchen, es verbindet uns auch mit denen, die oft vergessen werden und es erinnert uns daran, dass Jesus selbst hilflos, ausgeliefert und verwundbar zur Welt kam und darum am Anfang und in der Mitte unseres evangelischen Glaubens nichts als pure Menschlichkeit und Liebe stehen – egal was sich im Laufe der Geschichte an Traditionen, Lehre und Regeln darum herum gerankt hat. Darum ist diese Erinnerung immer wieder und wieder wichtig für uns.

In unserer Zeit, die von einem Übermaß an schnellen Informationen und immer noch aktuelleren Nachrichten geprägt ist, brauchen wir „Anker“, um uns nicht zu verlieren. Advent und Weihnachten können so ein Anker sein, und so verstehe ich auch Martin Luthers folgende Worte als Aufruf zur Verankerung durch Lernen, Wiederholen, und Üben:

„Fürwahr, du kannst nicht zu viel in der Bibel lesen;
und was du liest, kannst du nicht gut genug lesen;
und was du liest, kannst du nicht gut genug verstehen.
Was du gut verstehst, kannst du nicht gut genug lehren;
Und was du gut lehrst, kannst du nicht gut genug leben.“

Das heißt, wir sind immer am Lernen, am Wiederholen und Üben dessen, was wir durch Gottes Wort erfahren.“

Wäre das nicht ein guter Vorsatz, mindestens für’s nächste Jahr?

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, November - Monatsimpuls

Gott in den Ohren liegen

Liebe Leserinnen und Leser,

Martin Luther hat einmal gesagt: “Wenn wir Gott wirklich am Herzen liegen, und daran besteht kein Zweifel, dann dürfen wir ihm auch in den Ohren liegen.“

Martin Luther hat nicht nur die Bibel ins Deutsche übersetzt, sondern er hatte eine Gabe, mit einfachen und verständlichen Bildern und manchmal auch einer derben Sprache, die Sache auf den Punkt zu bringen.

Gott hat uns wirklich eingeladen, dass wir ihn anrufen, bedrängen, beknien dürfen, dass wir ihm in den Ohren liegen dürfen.

Dazu hat Jesus ein Gleichnis erzählt, das von einem ungerechten Richter handelt, der einer Witwe hilft. Nicht etwa, weil er ihr Recht verschaffen will oder er Mitleid hat, sondern schlicht und ergreifend, weil sie ihm auf die Nerven geht.

Und Jesus sagt dazu: „ Wenn schon dieser ungerechte Richter hört und hilft, um wie viel mehr wird euch Gott hören und erhören, der gerecht ist und euch liebt?“

Also, immer mutig und unerschrocken:

„Bittet, so wird euch gegeben; suchet, wo werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ (Lukas 11,9)

In der Diakonie Stetten beginnt jeder Schultag mit einem Gottesdienst in der Schlosskapelle. Ganz selbstverständlich beginnt der Tag mit einem Gebet. In vielen Wohngruppen sind die Tischgebete zu den Mahlzeiten ebenso selbstverständlich.

Auch dann, wenn jemand gestorben ist, mit dem wir hier ein Stück des Lebensweges gemeinsam gehen durften, bleiben wir nicht stumm, sondern beten für ihn oder sie und nehmen die Trauer der Lebenden mit auf ins Gebet.

Im Katechismus nach Luther und Brenz kurz und umfassend beschrieben, wie eng ein vertrauensvoller Glaube an Gott verknüpft ist mit einer ganz unbefangenen und selbstverständlichen Hinwendung zu ihm:

„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung.“

Und so betete Martin Luther täglich in seinem Morgen- und Abendsegen:

„Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele und alles in deine Hände. Dein Heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.“

Amen

2017, Oktober - Monatsimpuls

Das Reformationsfest feiern

Liebe Leserinnen und Leser,

jeweils am 31. Oktober wird in vielen Kirchen und Ländern der Welt das Reformationsfest begangen. In diesem Jahr 2017 soll der Feiertag in Gedenken an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren, in ganz Deutschland Feiertag sein.

Ich freue mich dabei nicht nur darüber, dass wir einen freien Tag mehr haben, sondern mehr noch, dass wir uns intensiv mit den Themen der Reformation auseinandersetzen:

  • Den Begriff der christlichen Freiheit in liebevoller Verantwortung und der Gewissensfreiheit gegenüber institutionellen Zwängen
  • Die Frage nach der Rechtfertigung unseres Lebens
  • Die Bedeutung für unsere Verantwortung im Gemeinwesen und als Führungskräfte
  • Bedeutung von Bildung für die Selbstbestimmung und Mündigkeit in Kirche und Gesellschaft

Neben der Erinnerung an besondere Geschehnisse und einzelne herausragende Ereignisse wie zum Beispiel den Thesenanschlag Luthers und wie er den damals Mächtigen die Stirn geboten hat, geht es aber auch um die Deutung und Bedeutung dieser Geschehnisse für Gegenwart und Zukunft.

Wenn wir also den Reformationstag feiern, dann erinnern wir uns damit an den Ausgangspunkt eines grundlegenden Veränderungsprozesses im Verhältnis der Menschen zu religiöser und staatlicher Obrigkeit. Wir erinnern uns an eine Veränderungs- und Befreiungsgeschichte, weil mit dem Auftreten Luthers die Gewissensfreiheit in existentiellen Fragen zur Grundausstattung des modernen Menschen geworden ist. Wir erinnern uns an einen Prozess, der dazu geführt hat, dass Wissenschaft und Forschung und später auch Kultur und Dichtung diese Gewissensfreiheit für sich in Anspruch nehmen konnten und es darum keine religiösen Denkverbote und Festlegungen von Weltbildern mehr gab.

Die Feier der Reformation können wir auch als einen Impuls zum Einverständnis damit nehmen, dass es zum Kern unseres evangelischen Glaubens gehört, immer weiter Veränderungen zu einer menschengerechteren Welt anzustreben. Kein Zurück zu Speise- und Bekleidungsvorschriften, kein Zurück zu einer Sitten- und Religionspolizei, kein Zurück zu Bevormundung durch wen auch immer, sondern ein Vorwärts zu mehr Selbstbestimmung, Teilhabe, Gerechtigkeit und Menschlichkeit. In der Diakonie sind das genau die Themen, an denen wir arbeiten und an denen wir uns bewähren müssen.

So wie es Martin Luther auch einmal sagte:

"Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht ein Gesundsein, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern eine Übung." (Martin Luther, EG S. 424)

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, September - Monatsimpuls

Allein durch den Glauben - Vertrauen ist unsere Arbeitsgrundlage

Liebe Leserinnen und Leser,

zum Verhältnis von Glaube und Liebe sagt Luther einmal:

"Glaube und Liebe ist das ganze Wesen eines christlichen Menschen.

Der Glaube empfängt, die Liebe gibt.

Der Glaube bringt den Menschen zu Gott,

Die Liebe bringt ihn zu den Menschen.

Durch den Glauben lässt er sich wohltun von Gott,

durch die Liebe tut er wohl den Menschen."

Dieser Glaube bezieht sich auf Jesus, der ganz für die Menschen da war und damit auch das Vorbild einer diakonischen Existenz, des Da-Seins für Hilfebedürftige prägt. Ein solcher Glaube war immer umstritten und hat immer wieder Menschen zum Widerspruch gereizt.

Eine der ältesten Darstellungen des Kreuzes ist eine Karikatur in Rom, die wohl aus dem ersten Jahrhundert nach Christus stammt. Da ist in einer ehemaligen Wachstube der kaiserlichen Garde in groben Zügen ein Kreuz an die Wand gekritzelt. An dem Kreuz hängt ein Mensch mit einem Eselskopf.

Davor kniet ein Soldat in der Rüstung eines römischen Legionärs. Daneben stehen die Worte:“ Alexamenos betet seinen Gott an.“

Es leuchtet ja auch nicht auf Anhieb ein, dass einer, der gefangen genommen wird, geschlagen und gedemütigt, hingerichtet wird und stirbt, dass gerade so ein Mensch als Gott geglaubt und angebetet werden soll.

Dennoch: Das Kreuz ist seitdem Zeichen des christlichen Glaubens.

Dieses Kreuz steht für alles das, was Menschen erleiden und aushalten müssen und was sie einander antun können. Es steht dafür, was es an Leiden, Schmerz und Schuld, an Quälerei und Bosheit gibt. Das, was wir alle immer wieder erfahren.

Das Kreuz steht aber auch dafür, dass dieses alles überwunden werden kann durch die Liebe. Jesus hat das Kreuz auf sich genommen, nicht weil er ein Dummkopf und Narr war, sondern weil er all das, was das Kreuz symbolisiert für die Menschheit ertragen wollte.

Das Eselsbild in der römischen Wachstube ist eine Gemeinheit. Eine Gemeinheit mehr. Aber diese Karikatur weist über sich hinaus, weil sie die Bedeutsamkeit des Glaubens erläutert. Als evangelischer Christ verstehe ich unter Glauben nicht eine andere Form des Vermutens, sondern die starke Form des Vertrauens. So wie Martin Luther den Glauben an Gott im Großen Katechismus beschrieb:

„Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten; also dass einen Gott haben nichts anderes ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben. Wie ich es oft gesagt habe, dass allein das Trauen und Glauben des Herzens macht beide, Gott und Abgott. Woran du nun dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott."

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, August - Monatsimpuls

Allein durch das Wort - Mündige Christen und Bürger

Liebe Leserinnen und Leser,

warum wir in der Diakonie uns auch am Wort Gottes orientieren und es nicht bewenden lassen mit der Orientierung an den Sozialgesetzen, Richtlinien, Verordnungen und Expertenstandards?

Weil bis heute Menschen von diesem Wort (Bibel) so angesprochen und im Innersten berührt werden, dass sie ihr Leben darin verstehen und danach gestalten und weil bis heute Menschen beim Lesen oder Hören dieses Wortes (Bibel) – nicht jedes Mal automatisch, aber immer wieder – spüren, dass sie Wahrheit enthalten, Wahrheit über sich selbst, die Welt und Gott. Wahrheit, die zum Leben hilft und die dem Leben in jeder Phase und in jeder Form des Lebens dient.

So können wir das grundlegende Prinzip der Reformatoren auch verstehen:

Allein im Wort Gottes, allein aufgrund der Schrift fanden sie die grundlegendste und wichtigste Orientierung für unser Menschsein.

Diese besondere Wirksamkeit der Bibel unterscheidet sie von anderen bedeutsamen Schriften etwa der Dichter und Philosophen.

Gerade wegen der Hochachtung, die Martin Luther vor dem Wort Gottes hatte, war ihm aber auch klar, dass dieses Wort immer nur dann Gottes Wort ist, wenn es auch durch seinen Geist lebendig wird. Die Bibel ist keine Sammlung von Zaubersprüchen, die man nach Bedarf einsetzen kann. Man darf nicht, so schrieb es einmal Martin Luther, „ein Wort herauszwacken und darauf pochen, man muss die Meinung des ganzen Textes, wie er aneinanderhängt, ansehen.“

Freilich: für Martin Luther und die Reformatoren sollte die Konzentration auf das Wort Gottes nicht in Abgrenzung zur Tat der Nächstenliebe bestehen, sondern es ging ihnen um den Vorrang der Bibel vor den vielen Interpretationen, Ausschmückungen, Aus- und Festlegungen durch kirchliche Regeln, Gesetze und Traditionen. Es ging ihnen um die besondere Bedeutung und Wirksamkeit im Vergleich zu anderen wichtigen und richtigen Schriften der Dichter und Denker.

Sie wollten zu den Ursprüngen, zu den schlichten Gleichnissen und Erzählungen der Bibel und sie wollten, dass jede und jeder sich selber damit befassen konnte, nicht gefiltert durch kirchenamtliche Übersetzer und Ausleger.

Damit begründeten sie einerseits den Gedanken des mündigen Christen und Bürgers, dessen Meinung nicht durch fremde Autorität, sondern durch eigenes Lesen, Verstehen und Nachdenken gebildet werden muss. Andererseits forderte dieses Vertrauen auf die Mündigkeit des Einzelnen dann auch, dass er eine entsprechende Bildung brauchte, um tatsächlich auch die Aussagen und Zusammenhänge verstehen zu können. Die Hochachtung der Schrift führte dementsprechend zu einer Hochachtung der Bildung und zur Entwicklung des Gedankens mündiger Christen und mündiger Bürger.

Zwei Prinzipien, die uns in der Diakonie auch heute stark bewegen, wenn wir Selbstbestimmung der Menschen als wichtiges Leitziel beschreiben und Bildung fast durchgängig eines unserer wichtigsten Handlungsfelder ist.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, Juli - Monatsimpuls

Allein aus Gnade - Willkommen im Leben

Liebe Leserinnen und Leser,

ist jeder Mensch gleich willkommen im Leben?

Erleben das zum Beispiel Menschen mit Behinderungen wenn sie als Kostenfaktoren in den Haushaltsplänen der Sozialverwaltung abgehandelt werden?

Erleben das zum Beispiel pflegebedürftige Menschen, wenn sie für die Pflegekassen Pflegefälle werden, deren Zuwendung im Minutentakt abgerechnet wird.

Wir befinden uns in einer manchmal fast unerträglichen Spannung zwischen dem, was uns durch finanzielle Vereinbarungen zugestanden wird und dem, was Menschen an Zuneigung und Zuwendung eigentlich brauchen.

Dennoch ist es eine Gnade, in diesem Land und in dieser Zeit zu leben, denn eine der Grundlagen unseres Sozialstaates ist, dass er jedem Menschen, unabhängig davon, woher seine Lage herrührt ein würdevolles Leben ermöglichen will.

Gab es nicht Zeiten bei uns und gibt es nicht Orte in der Welt, in denen ein behindertes Kind zu haben ein Unglück für die betroffene Familie war?

Gab es nicht Zeiten bei uns und gibt es nicht Orte in der Welt, in der alt gewordene Menschen verarmt und vernachlässigt leben und sterben mussten?

Auch wenn wir das Wort "Gnade" vielleicht als altmodisch gar nicht mehr so gerne hören wollen und wenn wir ein Selbstbild von uns haben, als hätten wir alles Gute uns selbst zuzuschreiben - ich bin jedoch dankbar, dass ich in dieser Zeit, an diesem Ort und genau in meine Familie hineingeboren wurde. Da kann ich gar nichts dafür.

In der Diakonie Stetten haben wir als Motto: „Willkommen im Leben.“ Wir sagen damit, dass wir jeden Menschen spüren lassen wollen, dass er im Leben willkommen ist. Wie immer auch jedes Baby zur Welt kommt, wie immer sich jeder Mensch entwickelt und wie immer auch seine Beschwernisse in der letzten Phase des Lebens sind, er soll wissen und spüren, dass er willkommen ist. Nicht nur geduldet und irgendwie versorgt, sondern wirklich willkommen. Das ist für uns die Übersetzung dessen, was Gnade bedeutet.

Martin Luther und die Reformatoren wollten mit der Betonung der Gnade einen Gegenpol setzen zur allgemeinen Erfahrung. Denn unsere Erfahrung ist ja etwas ganz anderes. Wir erleben, dass es Menschen gibt, die überall hochwillkommen sind und andere, die sich überall ihren Platz erkämpfen müssen. In der Kirche, die Martin Luther erlebte wurde diese natürliche Lebensordnung sogar noch als Rang- und Reihenfolge gegenüber Gott und über den Tod hinaus verlängert. Man konnte sich Verdienste erwerben, die Gott sogar noch nach dem Tod wirksam vorgezeigt werden sollten. Dagegen wehrten sich die Reformatoren mit dem Begriff „Allein aus Gnade“ – Gott schaut den Menschen nicht nach Verdienst und Leistung an, sondern ist grundsätzlich frei und liebevoll, niemand kann ihm eine Rechnung aufmachen.

Evangelische Diakonie versucht immer wieder, dies erlebbar zu machen: „Willkommen im Leben!“

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, Juni - Monatsimpuls

Allein durch Jesus Christus - Wichtigster Bezugspunkt der Diakonie

Liebe Leserinnen und Leser,

im Zentrum des christlichen Glaubens steht Jesus Christus.

Jesus ist keine philosophische Idee oder Theorie, kein weltanschauliches Prinzip, sondern eine historische Person.

Für die Reformatoren ging es bei dieser Zuspitzung um eine innerchristliche Frage. Dass Jesus Christus als Sohn Gottes geglaubt wurde, war gar nicht umstritten. Vielmehr ging es um die Frage, ob neben Jesus noch andere Vermittler zwischen Gott und den Menschen wirken könnten, zum Beispiel Maria, die Heiligen oder ein irgendwie gearteter „kirchlicher Schatz an Heilsmitteln“.

Heute stellt sich die Frage nach der Bedeutung Jesu eher grundsätzlich. Wer in seiner Firma Kollegen aus anderen Kulturkreisen hat, wer Nachbarn und Freunde hat, die anderen Religionen angehören, der erlebt, dass es schon schwierig ist, darüber Einvernehmen zu erzielen, dass man überhaupt irgendwie an Gott glaubt.

Aber dann auch noch an Jesus Christus glauben?

Für viele Menschen, selbst wenn sie irgendwie religiös sind, ist Jesus nicht mehr als ein vorbildlicher, bedeutsamer Mensch gewesen, einer von vielen.

Muslime respektieren Jesus als Propheten und Vorläufer des Propheten Mohammed

Aber „Allein Jesus Christus“?

Ja. Evangelische Christen messen und prüfen an Jesus Christus immer wieder neu ihr Verständnis von Religion und Kirche, Theologie und Ethik. Sein Verhalten, seine Reden, sein Leben sind Maßstab - ja letztlich auch Maßstab für die Bibel. In ihm erkennen sie, was wahres Menschsein bedeutet und wie Gott von uns erkannt und verstanden werden will. Ihm vertrauen sie im Leben und im Sterben.

In der Diakonie als kirchlicher Einrichtung beziehen wir uns darum auch ausdrücklich auf Jesus Christus.

Diese Bindung wollen wir in praktische Nächstenliebe umsetzen. Es geht uns ganz elementar darum, die Unantastbarkeit der menschlichen Würde täglich erlebbar zu machen. So wie eben Jesus mit den Menschen umgegangen ist, mit den Armen und Ausgestoßenen, mit den Kranken und Ausgegrenzten, mit den Außenseitern und Verlierern.

Aus diesem Respekt heraus werten wir auch den Glauben anderer Menschen nicht ab oder erklären ihn für unwahr, denn Jesus selbst hat Andersgläubige respektvoll und liebevoll behandelt.

Evangelisch Glaube macht sich daran fest, dass Jesus Christus der Bezugspunkt in der Mitte des persönlichen Glaubens wie der Kirche ist.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, Mai - Monatsimpuls

Zwischen Sachzwängen und Begeisterung

Politik machen mit der Bibel?

Liebe Leserinnen und Leser, 

die Erwartungen an eine diakonische, kirchliche Einrichtung sind groß.

Viele Außenstehende, aber auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten, dass es innerhalb einer solchen Einrichtung irgendwie "anders" zugeht, die Menschen freundlicher und verständnisvoller miteinander umgehen, dass Fehler immer "einmal mehr" vergeben werden oder dass immer noch zusätzlich unbezahlte Leistungen erbracht und freie Zeit eingesetzt werden. So sagt ein in der Diakonie Stetten oft zitierter Spruch: “Diakonie fängt erst nach 40 Stunden Wochenarbeitszeit an!“ Ich halte diesen Spruch für falsch, denn er unterscheidet eine bezahlte diakonische Arbeitszeit von einer unbezahlten ehrenamtlichen Mehrleistung, von der unterstellt wird, dass diese eher dem Anspruch der Diakonie entspricht.

Meiner Meinung nach geschieht bei uns Diakonie im Alltag, jeden Tag. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, vom Praktikanten bis zum Vorstand wollen in dieser Weise einstehen für eine christliche Dienstgemeinschaft und eine einladende und überzeugende Diakonie Stetten.

Gleichzeitig gibt es finanzielle Zwänge, es gibt Tarifverträge und das Arbeitsrecht, es gibt Haftungspflicht und die Verpflichtung, die öffentlichen Finanzzuwendungen wirtschaftlich, sparsam und zweckentsprechend zu verwenden.

Martin Luther und die Reformatoren haben über dieses Spannungsverhältnis auch immer wieder nachgedacht. Natürlich zu den Fragen ihrer Zeit, zum Beispiel ob Widerstand erlaubt ist, wie bei den Bauernaufständen, die im Mai 1525 beendet waren. Und Luther beschäftigte sich mit der Frage christlicher Führungsverantwortung, wenn er zum Beispiel von einem Regierenden erwartete, dass er „…nicht so denkt: Land und Leute sind mein, ich will es machen, wie es mir gefällt, sondern so: Ich bin für das Land und die Leute da, ich muss alles so machen, wie es ihnen nützlich und gut ist. Nicht darf ich suchen, wie ich hoch einherfahre und herrsche, sondern wie sie in gutem Frieden beschützt und verteidigt werden.“

Übertragen kann man das auf Führungskräfte auf jeder Ebene der Verantwortung.

Das Spannungsverhältnis bleibt. Evangelisch im Sinne Martin Luthers ist es, dass die Spannung zwischen einer hingebungsvollen grenzenlosen Menschenliebe und einer sachlogischen und wirtschaftlich nachhaltigen Unternehmensführung in Kirche und Diakonie nicht einseitig entschieden werden kann, sondern zu einer beständigen Suche nach der jeweils angemessenen Gestaltung führt.

Evangelisch ist es, immer wieder das richtige Maß zwischen einseitiger Ergebung in Sachzwänge und andererseits der einseitigen Begeisterung für grenzenlose hingebungsvolle Zuwendung zu den Menschen zu finden.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, April - Monatsimpuls

Freie Menschen und dienstbare Knechte

Liebe Leserinnen und Leser, 

am 18. April 1521 stand Martin Luther, der ein Jahr zuvor vom Papst aus der Kirche ausgeschlossen worden war, in Worms vor dem Kaiser und beschloss seine Verteidigungsrede folgendermaßen:

"Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen."

Was war es denn, was Luther nicht widerrufen wollte?

Neben den 95 Thesen gegen den Ablass war dies auch seine Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen".

In Anlehnung an 1. Kor. 9,19 formuliert Luther in dieser Schrift zwei berühmte Sätze:

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“

„Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."

Frei ist der "innere" Mensch durch den Glauben. Er ist richtig so, wie er ist, weil Gott ihm seine Rechtfertigung zuspricht.

Als "äußerer" Mensch, der mit anderen Menschen unter den Rahmenbedingungen seiner Welt zusammenlebt ist er aber auch „dienstbar“ also zum Beispiel anderen Menschen zu helfen oder zum Beispiel für Frieden und Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung sich einzusetzen.

Es ist ein Missverständnis im Blick auf das evangelische Freiheitsverständnis, dass sich Christsein darin zeige, dass man einfach jederzeit alles machen darf, was man machen kann. Freiheit eines Christenmenschen ist immer auch verantwortete und liebevolle Freiheit, sie baut auf und sie hilft dem Hilfebedürftigen.

Wir sind als evangelische Christen frei, mit guten Gründen, aus Verantwortung und Liebe über unsere Kleidung, unsere Essgewohnheiten und über unsere regelmäßigen Gebetszeiten oder Gottesdienstbesuche zu entscheiden.

An einem Beispiel möchte ich dies erläutern: Es gibt kein Verbot, Schweinefleisch zu essen, unsere Speisen müssen weder „Koscher“ noch „Halal“ sein. Gleichwohl steht es uns gut an, wenn wir mit Blick auf die Auswüchse der Massentierhaltung oder mit Blick auf die Verschwendung von Lebensmitteln uns bemühen, weniger Fleisch zu essen und weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Ein Missverständnis christlicher Freiheit aber wäre, wenn wir zum Beispiel in der Diakonie Stetten von allen Mitarbeitern fordern würden, Schweinefleisch zu essen, weil dies eben christlich ist.

Evangelisch ist es, unsere Freiheit in Liebe und Verantwortung zu leben.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, März - Monatsimpuls

„Darum auf Gott will hoffen ich, auf mein Verdienst nicht trauen“ (Martin Luther)

Liebe Leserinnen und Leser, 

der zentrale Schlüsselbegriff der Reformation ist die Rechtfertigung aus Glauben.

Rechtfertigung, das ist etwas, das wir laufend tun oder erleben.

Zum Beispiel, wenn die Heimaufsicht ins Alexanderstift oder die Wohnheime des Wohnbereiches kommt. Unangekündigt und mit detailliertem Fragenkatalog. "Warum ist die Dokumentation unvollständig?" "Wie konnte es passieren, dass…" Wieso war am Samstagabend nur eine Fachkraft im Dienst?" Die Teamleiter müssen sich rechtfertigen - und sie können es zum Glück auch aller meistens.

Zum Beispiel, wenn eine Beschwerde von unzufriedenen Angehörigen beim Hausleiter oder Geschäftsbereichsleiter eingeht. "Wieso wurde ich so spät informiert? Wieso wurde meine Tochter nicht so oft zur Physiotherapie begleitet, wie ich mir das vorgestellt habe? Wir müssen uns als Einrichtung rechtfertigen und erklären, dass wir mit begrenzten Mitteln – auch wenn wir uns das selbst oft anders wünschen – manchen Wunsch nicht erfüllen können.

Zum Beispiel, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mich fragen, wieso wir nicht mehr Personal einsetzen in den Häusern, wo es doch mit Händen zu greifen ist, dass dies gut wäre für die Menschen, die Zuwendung brauchen. Dann komme ich unter Rechtfertigungsdruck, muss die Sozialpolitik und die knappen Pflegesätze erklären, muss erklären, dass wir trotz umfangreicher Vorbereitung und professioneller Verhandlungsführung eben doch nicht alle unsere Forderungen in den Pflegesatzverhandlungen mit den Landkreisen durchsetzen konnten.

Rechtfertigung im beruflichen Alltag - wir sind geübt und routiniert. Wir übernehmen Verantwortung oder erklären, warum wir nichts dafürkönnen. Wir entschuldigen uns, tragen die Konsequenzen oder sind froh, wenn es noch einmal gut gegangen ist.

Aber wenn die Frage einmal auf unser ganzes Leben sich bezieht: „Hast du ein gutes Leben gelebt? Hast du aus deinen Möglichkeiten das Richtige gemacht? Bist du immer deiner Verantwortung gerecht geworden? Bist du den Menschen gerecht geworden, die dich geliebt haben und die ihr Vertrauen auf dich gesetzt haben?

Dann, so sagt es Luther und die Reformation, dann können wir uns verlassen auf"… die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben." Röm 1,17

Das war die bahnbrechende Erkenntnis Martin Luthers: Wir brauchen uns keine Selbstvorwürfe zu machen, brauchen uns für nichts zu schämen, denn wir sind und werden gerechtfertigt durch den Glauben. Da brauchen wir nichts zu erklären, schönzureden oder vorzulegen. Wir sind gerechtfertigt, so wie wir uns auf Jesus Christus verlassen.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, Februar – Monatsimpuls

„Wir sind Bettler“ (Martin Luther)

Liebe Leserinnen und Leser,

wer sind meine Vorbilder?

Wenn ich darüber nachdenke, dann merke ich sehr schnell, dass ich viele Vorbilder habe. Nicht als Vorlage zur Kopie, sondern als Orientierung in bestimmten Lebenssituationen.

Für mich war und ist zum Beispiel Martin Luther ein Vorbild an Mut und Standhaftigkeit, wenn es darum geht, für seine Überzeugungen einzutreten. "Hier stehe ich, ich kann nicht anders!" Ein berühmter Satz, der eine vorbildliche Haltung ausdrückt, auch wenn mittlerweile längst klar ist, dass Luther diesen Satz nicht genau so wörtlich gesagt hat.

Aber manchmal will ich auch so standhaft für meine Überzeugungen eintreten, das Richtige nicht für das Bequeme eintauschen, Hinstehen und nicht Lavieren.

Verbindlichkeit und Verlässlichkeit sind etwas anderes als Rechthaberei, Sturheit, Bequemlichkeit oder ängstliches Beharren im „das haben wir schon immer so gemacht“.

Für Martin Luther war seine Standhaftigkeit lebensgefährlich und existenzbedrohend. Es macht ihn zum Vorbild, weil er nicht starrsinnig und stur und denkfaul an dem festhielt, was für ihn bequem war, sondern weil er aus intensivem Nachdenken und grundlegender Überzeugung für seinen Glauben einstand, der einem herrschenden Glauben eine neue Erkenntnis entgegensetzte.

So sehr Martin Luther darin für mich ein Vorbild ist, so klar und bestimmt lehne ich aber auch seine feindselige Polemik gegen Papst und katholische Kirche, seine grundsätzliche Ablehnung des Islam, seinen Aufruf zur Gewalt gegen die aufständischen Bauern und seine Hasstiraden gegen die Juden ab.

Martin Luther war kein Heiliger, wenn wir uns heute noch an seinen vorbildlichen, wegweisenden und den evangelischen Glauben prägenden Erkenntnissen orientieren, müssen wir uns gleichwohl auch an seine dunklen Seiten, Fehler, Irrtümer und Schwächen erinnern.

Es ist, so meine ich, menschlich, dass wir nicht perfekt sind. Eigentlich ist das ja auch die grundlegendste Erkenntnis der Reformatoren, dass wir uns nicht selbst rechtfertigen können, sondern immer auf die Rechtfertigung durch Gott angewiesen sind.

Eines der letzten Worte von Martin Luther kurz bevor er am 18. Februar 1546 starb war: „Wir sind Bettler.“

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen

2017, Januar - Monatsimpuls

Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Hesekiel 36,26

Liebe Leserinnen und Leser,

in diesem Jahr feiern die reformatorischen Kirchen weltweit das Jubiläum von 500 Jahren Reformation.

Einer der Leitsätze der Reformation ist, dass sich die Kirche immer wieder reformieren muss, also immer wieder neu werden und sich verändern. Wenn sie das nämlich nicht tut, dann erstarrt sie und wird zu einem Überbleibsel der Vergangenheit, während sie doch jeweils den Menschen der Gegenwart die gute Nachricht von der Liebe, Güte und Gerechtigkeit Gottes zu sagen hat. Sie soll es aber immer so sagen, dass es die Menschen auch verstehen können.

Darum hat Martin Luther die Bibel in verständliche Alltagssprache übersetzt.

Darum war es den Reformatoren so wichtig, dass Kinder und Erwachsene durch bessere Bildung auch verstehen können. Der kleine und große Katechismus sollten das Wesentliche des Glaubens zusammenfassen und verstehbar machen.

Martin Luther und den Reformatoren ging es tatsächlich um ein neues Herz und einen neuen Geist, sie wollten, dass die Christen einen unmittelbaren Zugang zu Gottes Wort und einen Glauben fanden, der nicht durch Angst vor Fegefeuer und Hölle verdüstert und auch nicht durch Geldzahlungen und Stiftungen abgegolten werden durfte, wenn man die Mittel dafür hatte.

Dieser neue Geist ist ein Geist der Freiheit. Aus der Freiheit des Glaubens erwächst – gleichsam wie eine Frucht an einem guten Baum – die Liebe und Verantwortung für den Nächsten. Das ist ein anderer Geist als der berechnende und aufrechnende Gedanke, dass ich mit Wohlverhalten, Beachtung von Vorschriften und großzügigen Spenden auf ein Konto bei Gott einzahlen und ich mir sozusagen meine Wertschätzung bei Gott verdienen muss.

Gottes Wertschätzung können wir nicht verdienen, er schenkt sie uns. Wie ein Geschenk können wir sie nur annehmen – das bedeutet Glaube und aus diesem Glauben erwächst zum Beispiel die Diakonie.

Wenn ich mit Mitarbeitenden darüber rede, woran denn erkennbar ist, dass wir in einer christlichen Einrichtung arbeiten, dann kommen wir ganz schnell auf Themen wie: Wertschätzung und Würde, Gerechtigkeit und Lebenssinn, Zuversicht und Verantwortung.

Diese Themen im Zusammenhang mit Gott zu verstehen und uns damit einzufügen in einen größeren Zusammenhang, als wir ihn nur selbst herstellen können, das ist ein besonderer Reichtum, ein „Mehr“, für das wir in einer christlichen Einrichtung dankbar sein dürfen.

Ihr

Pfarrer Rainer Hinzen