8. Ethikforum am 3. Dezember 2018

"Ethische Impulse für eine sich transformierende Gesellschaft"

Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie war der Gastredner beim Ethikforum der Diakonie Stetten im Bürgerhaus Kernen. Er referierte zum Thema  "Ethische Impulse für eine sich transformierende Gesellschaft" und ging anschließend in den Dialog mit dem Publikum.

„Wir leben in einem Land, das sich derzeit in mehrfacher Hinsicht rasant verändert. Deutschland wird sehr schnell viel bunter, ungleicher, älter, digitaler und globaler“ begann Lilie sein Impulsreferat und erläuterte diese Einschätzung anschließend mit eindrücklichen Beispielen: Der zunehmende Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, der die Gesellschaft insgesamt verändert. Die sich verschärfende soziale Ungleichheit innerhalb Deutschlands,  abhängig davon, ob man im schuldenfreien Stuttgart, in hoch verschuldeten Kommunen oder auf dem Land lebt. Die vererbte Armut, von der insbesondere Kinder, Alleinerziehende, geringverdienende „Aufstocker“ und Rentner betroffen seien. Der rapide steigende Bedarf an Pflege für alte Menschen, der mit immer weniger Ressourcen für Pflege auf Seiten der jungen Generation einhergehe. Der von Lilie als „schleichendes Gift“ bezeichnete Populismus, der durch die neuen digitalen Kommunikationsformen noch befördert werde. Die sich durch Digitalisierung und Automatisierung verändernde Arbeitswelt, auf die ein Großteil der Erwerbstätigen noch nicht vorbereitet sei. Der medizinische Fortschritt, der eine Vielzahl von ethischen Fragen aufwerfe. Und nicht zuletzt die zunehmend globalisierte Welt, die gravierende Nebenfolgen in Bezug auf Klima, Sicherheit und Migration mit sich bringe.

Patentlösungen für Herausforderungen dieser Art hatte Lilie nicht im Gepäck, aber Vorschläge für eine Herangehensweise. Eine Kultur des Dialogs und des genauen Zuhörens könne helfen, aus den festgefügten „Blasen“ in den jeweiligen Milieus herauszufinden und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Zivilgesellschaftliche Netzwerke auf lokaler Ebene, z.B. in Bezug auf das Thema Pflege, könnten vor Ort einen wertvollen Beitrag leisten, der Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken und politisches Handeln unterstützen. Diakonie und Kirche könnten mit ihrer ethischen Grundhaltung und ihrer Fachkompetenz eine wichtige Rolle als Organisatoren solcher Bündnisse einnehmen. „Lassen Sie uns das neu lernen und lassen Sie uns Teil der Lösung sein!“ rief Lilie die Zuhörerinnen und Zuhörer auf.

Dass die Akteure dabei in vielfacher Hinsicht noch Lernende sind, wurde im darauffolgenden Dialog des Referenten mit dem Publikum deutlich. Impulsgeber für diesen Dialog waren Mitglieder des Ethikkomitees der Diakonie Stetten. Beim Thema „Nachhaltigkeit“ gebe es, so Lilie, in diakonischen Einrichtungen noch Nachholbedarf, aber auch schon gute Ideen und Beispiele - und auf Bundesebene die Absicht, ein Förderprogramm aufzulegen. Beim Thema „Mitbestimmung“ könne man in der Diakonie noch offener werden, Lobbyarbeit könne noch besser werden. Beim neuen Bundesteilhabegesetz dürfe man zum Beispiel nicht verschweigen, dass es nicht nur die Teilhabe von Menschen mit Behinderung fördere, sondern eben auch ein Kostendämpfungsgesetz sei (Zitat Lilie: „Inklusion ohne vernünftige Ressourcen ist eine Lüge.“). Auch dass Einrichtungen wie die Diakonie Stetten nicht nur Geld kosten, sondern im Gegenteil ein relevanter Wirtschaftsfaktor sind, müsse noch besser kommuniziert werden. Am wirkungsvollsten könne man politischen Druck erzeugen, wenn die Botschaften auf Bundesebene und lokaler Ebene dieselben seien. „Für gemeinsames Handeln in Netzwerken sind wir aufgestellt. Das müssen wir wollen. Die Frage nach dem „Wir“ müssen wir gemeinsam beantworten!“ lautete die abschließende Botschaft von Lilie am Ende eines anregenden Nachmittags.

Pfarrer Ulrich Lilie (geboren 1957) ist seit 2014 Präsident von Diakonie Deutschland und seit 2017 Vorsitzender des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung. 2011 bis 2014 war er Theologischer Vorstand der Graf Recke Stiftung Düsseldorf. Er ist verheiratet und hat vier Kinder.