• Geschäftsbereich Berufliche Bildung

Lernen und Betreuen auf Distanz

Berufsbildungswerk (BBW) Waiblingen setzt auf digitale Qualifizierungsangebote

In den zurückliegenden Wochen hat die Heim-Lernphase im Berufsbildungswerk (BBW) Waiblingen Fahrt aufgenommen. Und Not macht bekanntlich erfinderisch. Das BBW-Kollegium steht den Jugendlichen nach wie vor zur Seite und hat mit jedem einzelnen für die Zeit der Corona-Pandemie eine individuelle Vereinbarung getroffen. Zahlreiche kreative Ideen wurden entwickelt, um auch auf Distanz den gesetzlichen Auftrag - junge Menschen mit Beeinträchtigungen fit zu machen für das Berufsleben - weiterhin umfänglich erfüllen zu können.

Normalerweise pulsiert im Berufsbildungswerk (BBW) Waiblingen das Leben. Doch momentan sind Werkstätten und die Klassenräume der BBW-eigenen Sonderberufsschule (Johannes-Landenberger-Schule) verwaist. Entsprechend der landesweiten Verordnung bleibt die Schule bis einschließlich 19. April geschlossen, auch die praktische Ausbildung in den Werkstätten wurde ausgesetzt. Stattdessen glühen nun Telefonleitungen und Internetverbindungen. Denn auch unter diesen ungewöhnlichen Umständen werden die Teilnehmenden weiterhin professionell von ihren Ansprechpersonen - vom Schulkollegium, von den Ausbilder*innen sowie von den Mitarbeiter*innen des sozialpädagogischen und des psychologischen Fachdienstes – persönlich begleitet.

Die meistenTeilnehmenden aus Berufsvorbereitung und Ausbildung befinden sich in der Heimlernphase.  Ausgenommen sind junge Auszubildende, die ein Praktikum bzw. eine Ausbildung in einem externen Praxis- oder Ausbildungsbetrieb absolvieren und dort auch aktuell arbeiten können. Einige von ihnen lernen und wohnen auch weiterhin in Wohngruppen in den BBW-Internaten und werden dort unter Einhaltung der aktuellen Hygienevorschriften betreut.

Individuelle Lernpläne für die Schule

„Die Umstellung auf veränderte Lehr- und Lernprozesse fordert alle Beteiligten neu heraus“, sagt Achim Köhler, Leiter der Johannes-Landenberger-Schule (JLS) am BBW Waiblingen. Er lobt die Kreativität seiner Kolleg*innen beim Erstellen und Übermitteln von Lern- und Übungsmaterial an die jungen BBW-ler.JLS-Lehrerin Brigitte Kissel schwört beispielsweise auf den „virenfreien“ Unterricht per Lernplattform Moodle. Sie unterrichtet alle drei Lehrjahre der angehenden Fahrzeuglackierer*innen und trifft sich mit ihnen an den entsprechenden Unterrichtstagen von 9 bis 12 Uhr in einem Chat-Room. „Dort sehe ich auch, ob alle online sind“, erklärt sie. Jede Klasse arbeitet in ihrem aktuellen Lernfeld. Die Schüler*innen lösen interaktive und analoge Aufgaben. Zum Austausch wird die Mitteilungsfunktion genutzt.So kann ich entweder die ganze Klasse, einzelne Schüler*innen oder auch Schülergruppen informieren und die Schüler*innen können bei mir jederzeit nachfragen“, beschreibt Brigitte Kissel den Kontakt.

Die Vermittlung von fachpraktischen Fähigkeiten in der Ausbildungspraxis ist da schon schwieriger. Einem Jugendlichen, dessen Stärke in der praktischen Tätigkeit liegt, plötzlich nur noch theoretisch Wissen zu vermitteln, erfordert individuelle Herangehensweisen der Ausbilder*innen. Im Moodle-Kurs werden deshalb Lerninhalte zur Veranschaulichung mit Bildern ergänzt. Bald sollen auch so genannte Erklär-Videos aus der Praxis dazukommen. Daran wird zurzeit gearbeitet.

Insgesamt sei die Situation eine Herausforderung und ein Härtetest für alle Beteiligten. Einigen Schüler*innen falle das Dranbleiben sehr schwer, allerdings würden sie sich gegenseitig helfen. „Ich bin sehr beeindruckt vom Durchhaltevermögen und von der digitalen Kompetenz meiner Schüler*innen und bin sehr froh, dass wir auf diese Weise den Kontakt halten können“, fügt die Berufsschullehrerin hinzu.

Digitales Klassenzimmer

BBW-IT-Ausbilder Daniel Hintermeier nutzt für die Heimlernphase seiner angehenden Fachinformatiker*innen für Systemintegration das modulare Chatsystem Rocket.Chat. Bis 8 Uhr müssen sich die Azubis morgens angemeldet haben, dann werden die Aufgaben verteilt. Bis 16 Uhr sollte die Dokumentation der Aufgabe (Herangehensweise und Lösung) in der Cloud sein. „So kann man sicherstellen, dass auch gearbeitet wurde“, sagt Hintermeier. Und weiter: „In Videokonferenzen und Gruppenbesprechungen sehen sich alle. Dann können Fragestellungen und Probleme besprochen werden.“ Ein Paradebeispiel für virtuellen Unterricht im digitalen Klassenzimmer.

Psychosoziale Beratung am Telefon

Die meisten BBW-Teilnehmenden erhalten ihre Unterrichtsmaterialien und den Lernstoff per E-Mail. So wie Tina, die im BBW eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement absolviert. Sie erhält von ihrer Lehrerin und ihrer Ausbilderin ihr Aufgabenpensum. „Im ersten Moment denke ich, dass ich diesen Berg nie schaffe. Man kann keine direkten Fragen stellen. Das stresst mich extrem“, beschreibt sie ihr Gefühl.

In solchen Momenten holt sie sich Unterstützung. Dann greift sie zum Telefon und ruft Jürgen Tress an, einen der Diplom-Psychologen des psychologischen Fachdienstes am BBW Waiblingen. „In der aktuellen Situation haben wir einen Bereitschaftsdienst eingerichtet und vom persönlichen Kontakt auf psychologische Beratung per Telefon und Mail umgestellt“, sagt Jürgen Tress. Alle, die Anspruch auf psychologische Hilfe haben, wurden persönlich angeschrieben, damit sie sich bei persönlichen, sozialen oder Lernproblemen melden können. Das wird gut in Anspruch genommen.

Auch von Tina, der ihr „normaler, strukturierter BBW-Alltag“ fehlt. Sie ist froh über die regelmäßigen Telefonzeiten mit Ausbilderin Daniela Kirchner und Bildungsbegleiterin Christine Hoffmann, die sozialpädagogisch zur Seite steht.

Den Tagen Struktur geben

An Struktur mangelt es dagegen den Tagen von Roberta nicht. Die angehende Fachpraktikerin für Bürokommunikation wohnt und lernt in einer Wohngruppe in einem der BBW-Internate. Dort werden auch aktuell jene Jugendlichen betreut, die im Praktikum sind oder kein häusliches Umfeld haben, das sie aufnehmen kann. Wie kommt sie mit der aktuellen Lernsituation klar? „Man muss sich einen Plan machen, dann klappt es. Und man muss optimistisch sein“, formuliert Roberta ihr Motto.
Sie profitiert davon, dass die Mitarbeiter*innen in den Internaten derzeit eine 24-Stunden-Betreuung sicherstellen müssen. Dazu gehört beispielsweise auch, dass nach dem Frühstück täglich feste Lernzeiten eingeführt wurden, in denen die Jugendlichen ihre Aufgaben von Schule und Ausbildung erledigen und das Internatspersonal unterstützend zur Seite steht. Zwischendurch wird gekocht und es werden Freizeitangebote im Internat genutzt. Manchmal tauscht sich Roberta mit ihren Mitschülerinnen telefonisch über die Aufgaben aus, die sie per E-Mail aufs Handy erhält. Zur Bearbeitung nutzt sie Drucker und Internats-PC.

Von diesem Vorteil können leider nicht alle BBW-Teilnehmende profitieren, denn noch immer sind nicht alle Haushalte mit Internet bzw. Laptop ausgestattet. In einigen Fällen verschicken Lehrkräfte und Ausbilder*innen das Unterrichtsmaterial an die Jugendlichen in Berufsvorbereitung und Ausbildung zusätzlich per Post.
Und manchmal packen sie auch ganz viel Mut und Zuversicht hinein, so wie die Ausbilder aus dem Bereich Metallbau. Sie haben jedem ihrer 24 Auszubildenden ein Päckchen gepackt und neben Aufgaben auch Nüsse und Schokolade sowie einen Brief mit persönlichen Worten hineingelegt.

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