• Geschäftsbereich Berufliche Bildung

Lernen durch Praxis

Neue Übungsfirma am BBW Waiblingen

Wer den Ausbildungsraum der angehenden Kaufleute für Büromanagement im Nordbau 2 des BBW Waiblingen betritt, spürt sofort, dass dort ein besonderer Wind weht. In der Luft liegen Tatendrang, Konzentration, Verantwortungsbewusstsein – und ganz viel kaufmännisches Wissen. Zum Jahresbeginn haben die sieben Auszubildenden um Ausbilderin Daniela Kirchner ihre eigene Firma gegründet, die „Fair Choice GmbH“.

Die „Fair Choice GmbH“ ist eine Übungsfirma, also ein virtuelles Unternehmen, in dem alle Geschäftsprozesse eines realen Betriebes nachgebildet werden. Alle Aktivitäten entsprechen der kaufmännischen Praxis. Die Auszubildenden lernen sozusagen Geschäftspraxis in der Sicherheit eines Klassenzimmers.

Das richtige Produkt
„Am Anfang stand für uns die Frage, was wir eigentlich vermarkten wollen“, blickt Christina zurück. Schnell sei man dann auf das Thema „Fairer Handel“ gekommen – und so wurde die „Fair Choise GmbH“ aus der Wiege gehoben. Der nächste Schritt sei die Anmeldung beim deutschen ÜbungsFirmenRing gewesen. Diesen muss man sich wie eine Mini-Volkswirtschaft zum Üben vorstellen. Er bildet die nationale Zentralstelle für die Übungsfirmen, also den Wirtschaftskreislauf, und beherbergt die virtuelle Bank, Krankenkasse, Finanzbehörden, sogar eine Bundesanstalt für Arbeit.

Um arbeiten zu können, hat die „Fair Choice“ einen weiteren BBW-Ausbildungszweig mit ins Boot geholt. Die angehenden Fachinformatiker*innen für Systemintegration wurden mit der Bereitstellung der IT-Anschlüsse beauftragt. Sie haben auch für jede Mitarbeiterin eine Übungsfirmen-Mail-Adresse eingerichtet. „Eine Win-win-Situation für beide Ausbildungsbereiche“, sagt Daniela Kirchner.

Und wie läuft die Arbeit in der „Fair Choice GmbH“ nun konkret ab? Die Auszubildenden sind Mitarbeiter*innen der Übungsfirma und arbeiten in Abteilungen wie Einkauf, Buchhaltung, Marketing oder Personal. Zur Seite steht den sieben jungen Frauen dabei BBW-Ausbilderin Daniela Kirchner. „In der Firma bin ich aber nur die Praktikantin“, stellt sie lächelnd das Verantwortungsverhältnis klar.

Der richtige Fokus
Einmal pro Woche ist Teamsitzung, dann stimmen sich die Abteilungen über die Produkte ab, die beworben werden sollen. „Wir setzen uns für die Vermarktung von fair gehandelten und nachhaltigen Produkten ein“, beschreibt Tina das Portfolio. Im Angebot ist eine Vielfalt aus 40 unterschiedlichen Artikeln, darunter Kaffee, Tee, Schokolade, Kekse, Säfte und Non-Food-Produkte. Um die Handelsgüter zu bewerben, kreieren die Auszubildenden zu bestimmten Themen auch Werbeflyer, etwa zum Valentinstag, Frauentag, Ostern oder Muttertag.

Mailings und Telefonieren gehören aber genauso zum täglichen Arbeiten, wie z. B. Finanzpläne zu erstellen, Ein- und Verkaufsprozesse zu bearbeiten oder die Gehaltsabrechnung anzufertigen und zu buchen. Der große Unterschied zu realen Unternehmen besteht darin, dass es nur virtuelle Produkte und keine echten Waren gibt. Es werden ausschließlich Rechnungen und Lieferscheine verschickt. Auch das Geld ist virtuell, Zahlungen werden lediglich auf den Bankkonten gebucht. Alle Mitarbeiter*innen erhalten ein Gehalt, das sie in den Übungsfirmen ausgeben können.

Die richtigen Entscheidungen
In einem rollierenden System durchlaufen die jungen Frauen alle zentralen Abteilungen ihrer Firma, so dass sie Einblicke in die betriebliche Praxis erhalten und lernen, vernetzt zu denken. „In den Abteilungen müssen sie ihre Aufgaben selbständig organisieren und eigenverantwortlich handeln“, beschreibt Daniela Kirchner den Arbeitsalltag. Das beginnt mit einer funktionierenden Ablage und endet hoffentlich in einem hohen Unternehmensgewinn.

„Aufträge bedeuten für uns Erfolg. Nach der Februar-Auswertung stand fest, dass wir schon Plus gemacht haben. So langsam bauen wir uns einen Kundenstamm auf“, freut sich Melissa. Der Kundestamm, das sind andere Übungsfirmen, mit denen „Fair Choice“ kooperiert. Die Außenkontakte sind die besondere Stärke der Übungsfirma. Denn so wie Unternehmen in der realen Marktwirtschaft stehen auch Übungsfirmen zueinander in interaktiver Geschäftsbeziehung.

Und wie sehen die Erfahrungen aus, die die sieben Jung-Unternehmerinnen nach den ersten Wochen gesammelt haben? „Man kann das theoretische Wissen aus der Berufsschule praktisch anwenden und vertiefen. Das bereitet uns gut auf das reale Berufsleben vor, denn wir können herausfinden, was uns gut liegt“, betont Laura. Sie ist bereits im zweiten Ausbildungsjahr und hat auch dank der Übungsfirma herausgefunden, dass ihr Buchhaltung Spaß macht und sie ein Händchen dafür hat.

Die richtige Einstellung
„Das, was sie hier in der Übungsfirma ausprobieren dürfen, dürfen viele Azubis in der freien Wirtschaft oder in Praktikumsbetrieben gar nicht, etwa eine Gehaltsabrechnung machen oder eine Lohnsteueranmeldung. Es sieht aus wie im Realbetrieb, aber hier dürfen auch mal Fehler gemacht werden. Und wenn sich die Teilnehmenden später bewerben, dann haben sie sehr gute Chancen, da sie alle Abteilungen schon durchlaufen haben“, fasst Daniela Kirchner die Vorteile der Übungsfirma zusammen.

Gute Chancen rechnen sich die sieben Powerfrauen auch für ihr erstes Geschäftsjahr aus. Sie rechnen mit einem Jahresumsatz von zirka 250 000 Euro. Außerdem möchten sie ihre Produkte im zweiten Quartal auch international vermarkten. An der richtigen Einstellung der jungen Übungs-Start-up-Unternehmerinnen mangelt es auf keinen Fall.

Übrigens: Das Modell der Übungsfirma ist nicht neu. Erste Ideen reichen sogar bis ins 17. Jahrhundert zurück. Die erste Deutsche Übungsfirma entstand im Jahr 1954.Und die älteste Übungsfirma, die heute noch aktiv ist, wurde 1960 gegründet. Weltweit gibt es aktuell etwa 4600 Übungsfirmen, davon knapp 600 in Deutschland. Träger der Firmen sind beispielsweise Berufsbildungswerke, Berufsförderungswerke, staatliche Schulen und die Deutsche Angestellten Akademie.

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